Lebenswege
Der Weg ist das Ziel.
Ich werde dieses Jahr 50. Ich fühle mich nicht so. Gut, aber wie fühlt man sich denn in einem bestimmten Alter? Keine Ahnung - offensichtlich nicht so, wie man es vielleicht dachte. Ich für meinen Teil kann nur sagen: ich fühle mich mehr am Anfang, im besten Sinne und blicke mit Stolz, etwas Verwunderung und viel Dankbarkeit auf ein halbes Jahrhundert, fünf Dekaden, gelebtes Leben. Und freue mich auf die nächsten fünf - mein Sohn wünscht sich, dass ich 100 werde ❤︎
In den letzten 10 Jahren hat sich mein Leben so auf den Kopf gestellt, wie ich es mir nie hätte träumen lassen. Es ist heute nichts wie es mal war. Und das ist wohl gut so. Vor gut 10 Jahren erholte ich mich gerade von einem Trümmerbruch im Fuss, den ich mir beim Kitesurfen zugezogen hatte, nach einem Schulterbruch wenige Monate vorher beim Skifahren. Ich wurde mit meinem Sohn Max schwanger, legte meinen Startup Job auf Eis, ging in Elternzeit. Ich habe mir damals kaum Pause gegönnt, trug immer das Gefühl, mit mir herum etwas leisten zu müssen, aber auch zu wollen. Nachdem ich im Mutterschutz und in der Elternzeit eine Selbstständigkeit versucht, aber nicht auf die Straße bekommen hatte, bin ich danach schnell wieder mit relativ hoher Geschwindigkeit in den Job eingestiegen, Max war betreut, zum Glück sehr liebevoll. Irgendwann bin ich dann über meine eigenen Füße gefallen. Und musste mir die Frage stellen, ob das wirklich alles so sein sollte.
Mit Deutsch-Schottischen Wurzeln bin ich in New York geboren als Tochter eines deutschen Diplomaten. Nach den ersten 7 Lebensjahren in einem Vorort von Manhattan ging es für weitere 6 Jahre nach Nairobi, Kenia im osten Afrikas, wo das Licht warm, die Kaffeefelder dunkelgrün und das Wind am Meer salzig und in meiner Erinnerung wie eine freundliche Umarmung wirkte. Als Kind, rückblickend, schmerzhafte Jahre. Eine persönliche Geschichte, wie es viele Mädchen erleben, ohne je darüber zu sprechen - sprechen zu dürfen - oder Gehör zu bekommen. Gleichzeitig bin ich der roten Erde, wie es an vielen Stellen dieses Kontinents zu finden ist, auf ewig verbunden. Sie zog mich zurück in den Westen des Kontinents, für eineinhalb Jahre im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit. Lange konnte ich davon nicht loslassen, fragte mich, ob dort mein Glück sei. Wie ich heute weiss, ist Glück unabhängig vom Ort, an dem man lebt, denn es liegt in einem Selbst, wenn man bereit ist, den Mut aufbringt, dort hinzugehen, den Blick nach innen zu richten. Heute glaube ich, dass es die Natur war, die Weite der Steppen, das Rauschen des Meeres, die Eidechsen an den Wänden, der grüne Garten in dem ich Stunden verbringen konnte, die mich aufgefangen hat, Natur in der ich auch heute, wie alle Menschen, die sie aufsuchen, Ruhe, Zuversicht und Vertrauen finde, ein Raum in dem ich frei von Bewertung einfach sein kann. Ein Grund, warum ich vermutlich so dankbar bin, heute am See leben zu dürfen.
Als deutscher Diplomat in den 80ern zog es meinen Vater irgendwann nach Bonn. Ich blieb. Machte an der Uni Abschlüsse als Ingenieurin und Volkswirtin. Danach Jobs in der Wirtschaft, die immer Spaß gemacht haben, bis zu einem gewissen Punkt. Ich war dennoch immer irrend. Auf der Suche. Ziellos. Immer im Aussen. Immer mit der Frage im Kopf: Was will die Welt von mir? Nicht: Was möchte ich von der Welt?
Je nachdem wie wir in unserer Kindheit und Jugend sozialisiert werden, welchen Selbstwert wir mitnehmen, welches Verständnis, worum es im Leben geht, wie wir uns die Liebe anderer erarbeiten (finde den Fehler) - danach richtet sich unser Lebenskompass aus. Mein Kompass hat sich irgendwann mehrheitlich auf Anerkennung durch Leistung eingestellt. Mit forderndem Job, kleinem Kind, Ansprüchen aus dem Umfeld, verlor ich meine Grenzen aus den Augen. Grenzen, dessen ich mir nicht bewusst war, dass ich sie haben müsste und vor allem dürfte. Rückenschmerzen, Schlafstörungen, Krämpfe im Kiefer, Kopfschmerzen, ständig krank …. mein Körper schickte mir lange Zeit Signale, die ich nicht zu interpretieren wusste. Denn eigentlich hatte ich gelernt, diese zu ignorieren.
Mein Instinkt sagte mir, wie ich finde, recht verspätet, dass irgendetwas nicht stimmen könne, sich etwas verändern müsse. Nur was? Ich habe nie gelernt, mir nie selbst beigebracht, mir nicht die Mühe gemacht, mich zu fragen, was ICH von meinem Leben erwarte, mir wünsche, dachte, es stünde mir nicht zu, meine eigenen Träume zu gestalten und sie auch umzusetzen. Ein ewig limitierendes Selbstbild hielt mich von so vielem ab. Aber das Schicksal, die Vorsehung, das Universum schickte mir in Form meiner körperlichen Leiden einen ersten Wink, der mich dazu veranlasste mich auf Entdeckungsreise dahingehend zu begeben, was ich denn vielleicht selbst wollte, was mir Spaß machen, mich erfüllen könnte. Mit ersten zaghaften Schritten und in jedem Fall nicht im ‘bee line’. Aufgrund meiner gesundheitlichen Herausforderungen fing ich an, mich mit Essen zu beschäftigen, in der Hoffnung, ich könnte mein Leiden etwas lindern. Ich fing an zu kochen, mich mit unserem Essen und seiner Herkunft auseinanderzusetzen, meldete @tegernsee_kitchen bei Instagram an und fing an zu posten. Mit dem Ziel ein Jahr durchzuhalten, zu schauen, was sich daraus entwickeln würde und nicht zuletzt was es mit mir machen würde.
Dieser erste zaghafte Versuch, mich von meinen ganzen Zwiebellagen erlernter, angenommener, übergestülpter Vorstellungen wie mein Leben, wie ich zu sein habe, zu entblättern, war in jedem Fall ein wegweisender Schritt. Gefühlt das erste Mal in meinem Leben bin ich an einem Thema drangeblieben, habe meinen Jahresvorsatz immer im Blick gehalten und stoisch weiterverfolgt. Was die meisten Unternehmer, Coaches, Ratgeber bestätigen - dranbleiben ist deutlich mehr als die halbe Miete. Nicht neueste Innovation, brillante Köpfe und Hochbegabte sind die Grundlage eines Erfolgs, sondern die nackte Tatsache, dass man nicht aufgibt, an sein Thema glaubt, an sich glaubt, weiter macht. Einen ersten Hauch von Neubeginn habe ich damals in mir gespürt. Selbstwirksamkeit zahlt sich aus und ist selbstverstärkend. Wenn man einmal das Gefühl erhascht, was man anschieben kann, wenn man es nur angeht, kann es wie zur Droge werden. Yep, und kann dann durchaus auch wieder in die andere Richtung umschwenken - fehlende Grenzen und so. Die wurden mir auch postwendend aufgezeigt: Von meinem Körper durch einen extrem schmerzhaften Bandscheibenvorfall und durch das Schicksal, der meinen Sohn mit knapp vier Jahren an Typ 1 Diabetes erkranken ließ. Die Selbstständigkeit wurde zum Retter - ich konnte die Flexibilität meines angefangenen beruflichen Umstiegs nutzen, um mich um Max zu kümmern und ihm die Rückendeckung zu geben, die man als Kind in dieser Lebenssituation gut brauchen kann.
Eingeleitete Veränderungen können eine Dynamik entwickeln, das eine führt zum anderen, wie eine Reihe Dominosteine löst ein Anstoß den nächsten aus. Als ich mit meiner Therapeutin vor mehreren Jahren die erste Session begann, wies sie darauf hin, dass sich im Rahmen einer Therapie Beziehungen verändern können. Ich nahm die Information leichtherzig mit, beschwipst von dem Gefühl, endlich Änderungen in meinem Leben anstoßen zu können, diesmal mit professioneller Unterstützung. Was das bedeutet, konnte ich mir damals in keiner Form ausmalen. Heute stehe ich am Neuanfang.
Lange Zeit erschreckend, kräftezehrend, furchteinflößend, irgendwann immer mehr bestärkt, aufgeregt, erleichtert, mit viel Neugierde, Freude und Vorfreude in die Zukunft blickend, für die ich heute die volle und bewusste Verantwortung übernehme in dem gleichzeitigen Wissen, dass ich nun durchweg gestalterischen Freiraum habe. Denn jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, mein Leben selbst zu entwerfen, zu formen und auszuleben, wie ich es mir vorstelle, frei von den unterbewussten Vorgaben, die vielen von uns sehr früh, tief verankert in unser Unterbewusstsein, mitgegeben werden. Ein Prozess, der sich für den Rest meines Lebens entfalten wird, das einem die Bereitschaft abverlangt, mit offenen Augen zu betrachten, wer man heute ist, warum man genau da ist, wo man ist, um dann den Weg nach vorne sehr bewusst neu zu gestalten. Aber auch das muss ich erst lernen - wie soll mein Leben überhaupt aussehen? Wer möchte ich sein? Was möchte ich, wenn ich den erlernten Rahmen - ‘man sollte’, ‘ich müsste’, ‘das macht man so’, Erfolg ist … - … beiseite schiebe? Diese Freiheit, die gleichzeitig Verantwortung bedeutet, vor der scheuen wir uns in meinen Augen nur allzu oft. Denn es ist einfacher, jemanden anderen Entscheidungen abzugeben. So lässt sich auch die Schuld für Misslungenes, verpasste Chancen, vergessene Träume leicht von sich weisen. Aber nur mit der Bereitschaft, die Verantwortung für sein Denken, Handeln und seine getroffene Entscheidungen vollumfänglich zu übernehmen und mit aller Klarheit darauf zu schauen, warum das Leben bisher so verlaufen ist, wie es eben ist, lässt es sich voll und ganz im eigenen Sinn neu erschaffen.
Der Blick auf mein Essen, meine Ernährung, auf alles, was ich zu mir nehme, hat über einen Zeitraum von knapp 10 Jahren mein gesamtes Leben verändert. Er war der Stein des Anstoßes. Womit nähre ich mich - das ist weitaus mehr als das, was wir zur täglichen Nahrungsaufnahme in unseren Mund stecken. Beziehungen, Werte, Konsum, Medien … Das wirklich relevante aber war die Tatsache, dass ich endlich bereit war, etwas zu verändern, bereit war aus meiner vermeintlichen Komfortzone herauszutreten, um neues zuzulassen (vermeintlich, weil wir meist aus reiner Gewohnheit uns für Lebensumstände entscheiden, die nicht in unserem Sinne sind). Was in der Folge zur nächsten Veränderung führte und dann zur nächsten.
Nicht nur das Essen an sich hat dabei so vieles angestoßen. Auch meine Arbeit, mein Sein auf Instagram. Ich war vorher kein Mensch, der sich viel und schon gar nicht proaktiv auf Social Media bewegt hat. Über die Jahre wurde das Medium aber mehr und mehr ein Weg mich selbst zu entdecken in der stetigen Frage, wer will ich sein, was sind meine Werte, was kann ich beitragen und weitergeben, um anderen Menschen von meinem Weg profitieren zu lassen.
Es war ein schmerzhafter Prozess, wie eine Geburt, die aber ein ganzes, neues Leben bereithält - für jeden, der bereit ist, seinen gewohnten Rahmen zu hinterfragen, umzuformen, zu verlassen. Je nachdem wie willig man ist, sich auf Veränderung einzulassen, wird sie zur Konstante im Leben und man erkennt: Leben bedeutet genau das: Veränderung. Der Schmerz und die Schwere entsteht, wenn wir uns an Bilder und Vorstellungen klammern, wie das Leben sich auszuspielen hat und dabei dem eigentlichen Wunder und dem Charm, den das Leben für uns bereithält, wenn wir es sich entfalten lassen, blind entgegentreten.
Tegernsee Kitchen ist aktuell mein Kernprojekt, das mir die wirtschaftliche Grundlage für mein neues Handeln gibt. Ist es eine einfache Situation? Nein. Ist es belebend? In jedem Fall. Es schweben viele neue Ideen in meinem Kopf, die sicherlich in den nächsten Monaten und Jahren einen Anfang finden werden. Denn mit jeder Türe, die zu geht, gehen viele weitere Türen auf, wenn man bereit ist, die Klinke in die Hand zu nehmen.
Ich danke dir von Herzen, dass du hier bist, Teil dieser Community, die sich um gutes Essen für Körper, Seele und Geist dreht. Auch Du trägst dazu bei, dass ich diesen, mir selbst ausgesuchten, Pfad gehen kann. Mein inständigster Wunsch und meine Hoffnung ist, dass ich durch meinen Weg auch dich dazu animiere und inspiriere, deinen Weg zu reflektieren, dich zu fragen, was du wirklich von deinem Leben möchtest und gegebenenfalls den Mut in die Hand nimmst, deine Wünsche in Angriff zu nehmen.
Wie verändere ich mein Leben? In dem ich etwas verändere. Einen Schritt nach dem anderen. Kontinuierlich. Immer wieder reflektierend. Es geht dabei nicht um einen fixen Ankunftsort. Sondern um den Weg, denn der Weg ist das Ziel.
Wenn Du Fragen zu meiner Geschichte hast, oder deine eigene Geschichte mit mir teilen möchtest, freue ich mich über eine Nachricht, die du mir hier senden kannst.