Lettland kulinarisch bereisen
Es gibt viele Wege, ein Land zu entdecken. Einer meiner liebsten ist es dies auf den Spuren der lokalen Kulinarik zu unternehmen - über regionale Lebensmittel, die im Land angebaut und geerntet, gezüchtet oder gefischt werden; über die landeseigene Gastronomie, die die Vorlieben und Werte eines Volkes in der Zubereitung ihrer Gerichte herausarbeitet und durch moderne Interpretationen das aktuelle ‘Mindset’ eines Landes durchscheinen lassen; über lokale Gerichte, die traditionell von Generation zu Generation in Zubereitung, Geschmack und Geschichte weitergegeben werden. Kürzlich hatte ich die wunderbare Chance, gemeinsam mit Travel Latvia einen Teil ihres Landes Lettland als eines der drei baltischen Staaten neben Estland und Litauen an der Küste der Ostsee liegend kulinarisch zu bereisen und kennenzulernen. Dabei haben wir vor allem die Gegend um und östlich von Riga, Zentral-Livland, in Augenschein genommen. So viel steht jetzt schon fest: ich werde Lettland in jedem Fall wieder bereisen, um noch mehr dieses vielfältigen Landes und Volkes zu entdecken.
Kulinarische Entdeckungsreise auf dem Zentralmarkt in Riga
Wo steigt man besser in die Entdeckung der Kulinarik eines Landes ein als auf dem täglichen Stadtmarkt, in Riga der Zentralmarkt, wo frisches Obst und Gemüse, Fleisch und Wurstwaren, Fisch und Schalentiere und jegliche landestypische Spezialitäten zu finden sind, die in privaten Küchen sowie in Restaurants aufgetischt werden.
Eine Besonderheit an Riga’s zentralem ‘Foodspot’ ist die Geschichte der Hallen, in denen der Markt sein Zuhause hat und durch den täglich bis zu 100 Tausend Kunden hindurch flanieren. Bevor der Markt 1930 als einer der modernsten in Europa eröffnet wurde, beherbergte er nämlich die Zeppeline des Landes. Heute findet jeder Chef - ob professionell oder privat - jede kulinarische Spezialität, die das Land zu bieten hat, in diesen ehrwürdigen Hallen.
Was die lettische Erde hergibt wird konserviert und verwertet
So lerne ich beim Spaziergang über den Markt mit Mārtinš Sirmais, seines Zeichens lettischer TV-Chef und Mitinhaber des stadtbekannten Gourmet Restaurants 3Pavaru, grundlegendes über die lettische Küche sowie die Einstellung der kleinen Population dieses Landes zu dem was auf ihren heimischen Tisch kommt. In Lettland wird das tägliche Menü noch stark davon bestimmt, was das Land und seine Gewässer hervorbringen - vor allem Fisch aus den vielen 1200 Seen des Landes und Obst und Gemüse, die im nordischen Klima natürlich wachsen oder sich gut anbauen lassen. Roggen wird zum klassischen lettischen dunklen Brot Rupjmaize verbacken und als Fleisch kommt traditionell Schwein auf die Teller.
Lebensmittel werden noch häufig traditionell unter anderem zur Haltbarmachung geräuchert, getrocknet oder fermentiert. Das Vorgehen spiegelt die Erfahrung eines Landes, das häufig in der Geschichte auf sich gestellt war, lange Winter durchlebt und stolz auf seine kulinarische Eigenständigkeit und Kreativität ist was die Versorgung mit Lebensmitteln angeht. Es wird außerdem alles in irgendeinen Produktionskreislauf eingepflegt - alles findet eine Verwendung, nichts wird verschwendet. Diese Herangehensweise wirkt in einer Zeit, wo Ressourcen durch die Ausbeutung der Erde knapp werden, überaus zukunftsweisend und ich erlebe es als absolutes Vorbild unseres Zeitalters. Ich höre auch meiner Reise aber auch immer wieder Stimmen, die Sorge äußern, dass mit der Öffnung des Landes und Eintritt in die EU und damit Veränderung der Handelsstrukturen, neue Produkte das Land überfluten und Traditionelles durchaus zurückgedrängt wird. So werden Unternehmungen initiiert, die nachkommende Generation wieder vermehrt in die Weitergabe von landesüblichen Traditionen einzuweihen.
Typische Zutaten und Produkte aus Lettland
Zu diesen Traditionen gehört z.B. auch für viele Familien, im Frühling eine Birke für ihren Birkensaft anzuzapfen, um die gesunde Flüssigkeit zu genießen oder ihn zu Sirup weiterzuverarbeiten. Der Birken-Sirup macht sich wunderbar zu Fleisch, Fisch, gegrilltem Gemüse oder als Art Balsamico im Salat und gilt als absolute Delikatesse. Da musste ich mir natürlich eine Flasche dieses süßen, dunklen Saftes bei unserem Besuch des Unternehmens Birzī mitnehmen, die in erster Linie Produkte aus Birkensaft, den sie aus ihren Birkenwäldern beziehen, herstellen.
Da die Haltbarmachung aufgrund von Knappheit und langen Wintern schon immer eine zentrale Bedeutung eingenommen hat, werden Gemüse - ob Gurken, Kohl, Knoblauch oder Pilze, alles ist möglich - fermentiert. Mit Wasser und Salz lassen sich frische Lebensmittel auf diesem Weg recht leicht auch in Eigenregie haltbar machen und mit Gewürzen farbenfroh variieren. Auf dem Markt haben wir ein pralles, buntes Sortiment dieser fermentierten Gemüse bewundern können. Obst hingegen, wie Rhabarber, Cranberries oder Sanddorn wird getrocknet und als gesunder Snack vernascht oder aber in Desserts weiterverarbeitet.
Das Brot wird in Lettland traditionell aus Roggen gebacken, das dunkle, sogenannte Rupjmaize, das zudem zu einer leckeren Nachspeise weiterverarbeitet werden kann, dem Rupjmaizes Kārtojums, ein Schichtdessert aus Brotresten, Beerenmarmelade und Sahne.
Als Proteinquelle werden Fische aus Seen, Flüssen und der Ostsee geangelt. Typische Fische sind dabei die Sprotte aus dem Meer und Forelle, Karpfen oder Hecht aus dem Süßwasser. Auch Lachs kann schon mal entdeckt werden, ua wenn es zum Laichen die Flüsse aufwärts schwimmt. Das helle Fischfleisch wird schon seit Jahrhunderten größtenteils geräuchert, klassischerweise in einer Rauchsauna, die nach der Räucherung der Lebensmittel zum gesunden Schwitzen genutzt wird. Diese traditionelle Rauchsauna gilt als typisch für den baltischen Raum und gehört zum immateriellen UNESCO Kulturerbe.
Als Fleischspeise kommt vor allem Schweinefleisch auf den Tisch, alternativ Wild, das in den heimischen Wäldern geschossen wird. Auch beim Fleisch wird das Räuchern als Geschmacksverstärker und zur Haltbarmachung gerne eingesetzt.
Der traditionelle junge Johannis Käse oder Kümmelkäse ist ein Käse aus Milch, Quark, Eiern, Butter und Kümmel, der in vielen Haushalten um den 20. Juni zum Mittsommer, einer der traditionsreichsten Festtage in Lettland, serviert wird.
Auf die Bitte nach dem typischsten lettischen Rezept, bekamen wir auf unserer Reise vor allem Hinweise auf traditionsreiche Suppen. Wie viele Länder dieser Region hat auch Lettland eine Rote-Beete-Suppe auf dem heimatlichen Menü stehen, wobei es eher einem flüssigen Salat gleicht, aus roten Knollen, Kefir, Gurken, Ei und viel Dill. Suppen, die außerdem in vielen lettischen Tellern zu finden sind, basieren auf Kohl und Schweinefleischstücken, alternativ bilden Kartoffeln die Grundlage, die mit Speck ergänzt werden.
Letztlich haben wir auf unserer kulinarischen Reise durch Zentral-Livland eine bunte Auswahl des lettischen Speiseplans kennenlernen dürfen, dennoch bleibt es ein Ausschnitt. Die farbenfrohen, ereignisreichen Tage gefüllt mit landestypischen, aber auch vielen persönlichen Geschichten, neuen Bekanntschaften und vollen Tellern lassen mich nach mehr dürsten. Denn in Lettland gibt es noch so viel mehr zu entdecken - natürlich auch kulinarischer Natur. Hoffentlich in absehbarer Zukunft dazu mal mehr. In der Zwischenzeit findest du unten eine Auswahl der kulinarischen Ziele, die wir angesteuert haben und was wir bei diesen Besuchen mit viel Genuss verspeisen durften.
Was bei mir nach dieser kulinarischen Entdeckungsreise durch Lettland vor allem im Sinn bleibt ist der sympathische Stolz, der Menschen, denen ich begegnet bin über die Produkte ihres Landes, die Freude daran in die Natur zu gehen und den Speiseplan von Wiesen und Wäldern bestimmen zu lassen, sowie das traditionelle Wissen und das Handwerk mit denen Lebensmittel verarbeitet, haltbar gemacht und zubereitet werden. Die Menschen feiern die Natur, man ist viel draußen, sammelt Beeren im Wald, legt sein Gemüse ein, fischt in den 1200 Seen des Landes und zieht seinen eigenen Birkensaft. Eine wahre Inspiration und Vorbild in unserer Zeit.
Foodie Tips Lettland - Zentral Livland
Der große Markt der Hauptstadt Lettlands, Riga, befindet sich im Stadtzentrum, ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen und bietet landestypisches sowie importiertes - alles was das Foodie Herz begehrt. Herumgeführt und in die Delikatessen des Landes eingeführt wurden wir vom Chef Koch Mārtinš Sirmais, Mitgründer des Gourmet-Restaurants 3Pavaru.
3Pavaru, Riga
Geführt von den drei Chefs Mārtinš Sirmais, ĒRIKS DREIBANTS und PĀVELS SKOPA ist der Kern des Restaurants eine offene Küche, die landesweit als eine der renommiertesten gilt aber gleichzeitig offen für ein breites Publikum ist. Wir durften mit Mārtinš nicht nur den Markt in Riga entdecken, sondern auch nachmittags gemeinsam mit ihm ein frühlingshaftes Menü zubereiten und am runden Tisch im Restaurant verspeisen. Mein Highlight war in jedem Fall die Brot-Zeremonie zu Beginn, bei der verschiedene Soßen, unter anderem auch der landestypische Hummus aus grauen Bohnen, vor jedem Gast auf einem Papier serviert wurden, von dem es auch verspeist wurde.
Die aktuelle Karte des 3Pavaru findet ihr hier.
Gimlet nordic cocktail bar, Riga
Unser Cocktail am ersten Abend in Lettland und bedauerlicherweise einzigen Abend in Riga hat einen nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen. Das Gimlet kreiert Drinks auf klassischer Basis, also Gin, Whiskey oder Tequila verbunden mit saisonalen Gewürzen und Kräutern des Landes, frisch gepflückt vom Team und auch dem Inhaber der Bar (der während unseres Drinks mit frisch gepflückten Kräutern oder Blumen abends hereinkam). Die Karte passt sich der Jahreszeit an und dem, was den Wiesen und Wäldern gerade blüht.
Pavaru Maja, Ligatne
Ein auf dem Konzept der Slow Food Bewegung fussendes Landhaus Restaurant angesiedelt im Ort Ligatne 80 km außerhalb von Riga in einem alten, umgebauten Geburtshaus des nebenan liegenden Papierfabriks serviert an Wochenenden ein Menü aus lokalen Produkten des direkten Umlandes - eine herrliche Amuse Bouche zum Start wurde gefolgt von einem frischen Salat mit leuchtend roten Radieschen, einer cremigen Fischsuppe mit Ravioli, recht klassischem Steak mit Kartoffelpüree, abgeschlossen mit einem lettischen Nachtisch aus Creme mit Fruchtfüllung. In jedem Fall ein Besuch wert aufgrund des geschichtsträchtigen Gebäudes, der wunderschönen Einrichtung und dem doch sehr schönen Menü.
Brotbacken mit Renars Purmalis
Eines meiner persönlichen Highlights dieser Reise war das Outdoor Brotbacken mit Renars Purmalis. Nicht nur haben wir herrliches Sauerteigbrot im Freiluft Ofen gebacken, das warme, frische Brot wurde mit lettischem Käse, Schinken, Pesto aus Wiesenkräutern und eingelegten Preiselbeeren und Sanddorn belegt - oft ist das einfachste das zufriedenstellendste, auch in diesem Fall. Ein Höhepunkt kam dann noch zum Schluss - den lettischen Nachtisch aus dunklem Roggenbrot mit Kompott und Creme hat Renard um eingelegte Kirschblüten und bunten Wiesenblumen erweitert - ein kulinarisches Fest erster Klasse. Renars bietet Outdoor Erlebnisküche an - mehr zu ihm findet ihr hier.
Birken Sirup von Birzi
Nach diesen fünf Tagen kulinarischer Entdeckungsreise durch Lettland würde ich vom Gefühl her sagen, dass der Birkensaft bzw der Sirup für mein Empfinden das lettischste Lebensmittelprodukt ist, das wir kennenlernen durften. Warum? Weil es offensichtlich in fast jeder Familie die Tradition gibt, im Frühjahr in den Garten oder in den Wald zu ziehen, um eine Birke für ihren nährreichen Saft anzuzapfen. Die Tradition zieht sich entsprechend durch die gastronomische Landschaft, die den Sirup vielfältig einbindet. Am liebsten habe ich es als Dip zum Brot oder als Balsamico Ersatz zum Salat gegessen.
Briņģu muižai
Kaum online auffindbar befindet sich das alte, behelfsmäßige, aber mit unfassbar viel Charme aufbereitete Herrenhaus aus dem späten 19. Jahrhundert mitten auf dem Land zwischen grünen Wiesen und Wäldern. Meza Eva, übersetzt ‘Wald Eva’, hat sich aus den Fängen des klassischen Berufslebens befreit, viele Jahre im Wald gelebt und sich nun das alte Gemäuer einfach aber mit viel Gefühl für Ästhetik aufbereitet und bietet unter einfachen Bedingungen Tee, Übernachtungen, Essen oder einfach einen Austausch zwischen Menschen an. Der Besuch bei Eva wird mir im Gedächtnis bleiben. Das Drei-Gänge-Menü, das uns bei ihr serviert wurde, wurde rein aus Zutaten der umliegenden Ländereien zubereitet und war nicht nur ein Erlebnis, sondern auch unfassbar schmackhaft. Mehr zu unserem Besuch bei Eva findet ihr hier.
Der krönende Abschluss unserer Reise fand im Liepupes Manor statt. Krönend, weil das Anwesen schlicht herrschaftlich ist, mit wunderschönen Gartenanlagen, mondän eingerichteten Zimmer, verschiedenste Räume zum Tee trinken, Lesen oder Klavier spielen und nicht zu vergessen ein ausladendes 6 Gänge Menü.