Zu Besuch in der Blauen Traube
Ein sanftes Sterneflackern am kulinarischen Himmel Südtirols?
Auf meinen kleinen Hinweis im Text einer Instagram Story versteckt, dass ich mit meinem Sohn am Vorabend im Restaurant der Blauen Traube in Algund ausserhalb von Meran gegessen hatte, kamen viele Rückmeldungen, die so viel spiegeln: Christoph Huber hat sich im historischen Gasthaus im Nachbarort von Meran in das er 2019 ‘einzog’ seine ganz eigene Bekanntheit geschaffen. Zurecht. Warum haben sich vor allem viele gemeldet? Sie wollten u.a. wissen, wie es mit dem Menü aussieht, das Christoph im vergangenen Jahr eingeführt hat, bzw. auf den er den à la carte Betrieb umgestellt hat.
Bekanntlich steht der Mensch Veränderungen des Öfteren skeptisch gegenüber. Ich selbst versuche (immer wieder aufs Neue) Veränderungen zu nehmen, wie sie kommen, denn sie sind Teil des Lebens und schaffen Dynamik und Inspiration. Die Information zu besagter Veränderung war leider an mir vorbei gegangen. Also habe ich, als ich bei unserem Besuch kürzlich realisiert habe, dass es heute für mich und meinen 9jährigen Sohn um ein 10-Gänge-Menü auf höchstem Niveau geht, einmal tief durchgeatmet. Für meinen Max, der wirklich reisetechnisch sehr viel mitmacht und für alles zu haben ist, sind 3 Stunden am Tisch sitzen, bei aller Neugier und Geduld, allerdings doch herausfordernd. Eine leichte Nervosität überkam mich bei dem Gedanken, er würde genau das jetzt aushalten müssen. Gleichzeitig wollte ich natürlich dem Team an Köchen den gebührenden Respekt für ihr Schaffen entgegenbringen und mit etwas Muße die mit viel Liebe und Aufwand zubereiteten Gerichte entsprechend genießen. Also, einmal tief durchgeatmet und beschlossen, das wird gut und mich auf den Abend gefreut. Und ihr könnt es auch bei eurem nächsten Besuch in dieser kulinarischen Perle in Südtirol. Es war ein wunderbares Erlebnis, Max ist meiner Bitte zu versuchen diesen Abend für mich mitzumachen, dankenswerterweise entgegengekommen und das Team hat einen wirklich netten, offenen Umgang seinen kleinen Gästen gegenüber, was alles noch schöner gemacht hat. Ich persönlich finde dies eine wunderbare Weise Kinder an die Vielfalt guten Essens heranzuführen und bin immer dankbar, wenn Kinder auch in Restaurants mit gehobenem kulinarischen Anspruch so bedacht werden. Wir haben es auch schon anders erlebt.
Mit Kind sieht man viele Dinge eh anders. Dafür bin ich unendlich dankbar. Auch bei anderen Menschen erlebt man Seiten, die sonst vermutlich nicht zu Tage gekommen wären. Christoph begrüßt seine Gäste mitsamt Team an Köchen (insgesamt acht Mitarbeiter) per Handschlag. Die erste von drei Vorspeisen als Einstimmung, die Miso Suppe auf Basis von einem Tiesner Kastanien mit Bärlauch, reichte Christoph dem Max persönlich mit einem Lachen und den Worten: wir beginnen mit der ersten Herausforderung. Max, der sich noch in der Schnitzel, Pommes, Pasta Phase befindet, nahm das Angebot aber an und probierte es. Es war ihm etwas zu scharf, dennoch war das Eis durch dieses erste, freundliche Angebot früh gebrochen. Für mich gab es dafür die doppelte Portion dieser herrlich-würzigen Flüssigkeit gepaart mit einem lokalen Schaumwein, in Champagner Methode ausgebaut: Winkler Lamm nr.12 aus Girlan, außerhalb von Bozen. ‘Gemeinsam möchte die Familie Winkler, in 2. und 3. Generation neue Wege in der Südtiroler Sektlandschaft einschlagen. Hieß die Kellerei unter Michaels Vater Helmuth noch „Sektkellerei Winkler“, so heißt sie jetzt Sektmanufaktur Winkler. Denn alles wird in Handarbeit gemacht.’
Nach dem Aperitif wurden wir in die Stube gebeten, gemeinsam mit weiteren 5-6 Tischen. Die Existenz des ‘Wirtshaus zur blauen Traube’ ist seit 1515 belegt, das Gebäude steht seit 1999 unter Denkmalschutz. Die alten Räume sind unter der Decke mit Reben verziert, die Einrichtung heute einfach, die beiden Gasträume mit Holztischen bestückt, der Treppenaufgang nach unten in den Weinkeller erinnert an das Geburtsjahr des Hauses, das mehrere Hundert Jahre zurückliegt.
Bevor es losging, kam der Chef des Hauses nochmals an den Tisch mit dem Vorschlag, Max auch an den Vorspeisen teilhaben zu lassen und ihn dann mit einen Teller Pasta mit hausgemachter Tomatensauce zu beglückend. Wie sich herausstellte, die perfekte Kombination, zumindest für meinen Sohn. Denn seine Neugierde war geweckt und die zweite Hauptspeise, das Zaren Frühstück, bestehend aus Kohlrabi, Lachsforelle und Forellenkaviar, hat er restlos verputzt. Ich natürlich auch. Es folgte eine Pizza Frita, eine neapolitanische Köstlichkeit von den Köchen der blauen Traube, interpretiert mit Ente, Ricotta und Tomate. Vorgestellt wird jeder Gang von einem Teammitglied. Dazu werden hilfreiche Verzehrtipps gereicht, wie in diesem Fall: keine Scheue, einfach ganz in den Mund schieben. Spontan habe ich dabei die Augen geschlossen, um die verschiedenen geschmacklichen Komponenten auf der Zunge zergehen zu lassen. Max hat die kleine, kugelförmige Pizza erst optisch untersucht, dann mit einem Happs in den Mund gesteckt und es schnell für gut befunden. Zu diesem Zeitpunkt stand der Pizza Happen bei Max auf Rang 1 der bisher probierten Gerichte, dicht gefolgt vom Zarenfrühstück.
Danach folgte ein Amuse Bouche in Form eines ‘Mountain Papaya Salates’. Offen für alles konnte ich dennoch die Papaya auf dem Menü nicht einordnen, eine lokal gewachsene tropische Frucht? Schließlich ist das Motto des Hauses ‘Radikal Lokal’. Eine Philosophie, die in meinen Augen immer Sinn macht und mehr als gerechtfertigt ist, dennoch eine gewisse Mode-Komponente mit sich trägt und manchmal doch eher schlecht als recht gelebt wird. Auf diesem kulinarischen Niveau wird es aber durch und durch so kreativ eingebunden, das hat mir gerade bei dieser Vorspeise ein wenig den Atem genommen. Denn beim ersten Probieren und bei wiedermals geschlossenen Augen dachte ich, ich habe einen wunderbaren, frischen, süßlich-saueren Papaya Salat aus Thailand im Mund.
Der Papaya Salat wird anstatt mit Papaya mit unreifer Birne und Rettich angerichtet und mit Fischgarum abgeschmeckt. Garum galt als Standardgewürz in der antiken römischen Küche, die sowohl für salzige als auch süße Speisen zum Einsatz kam, etwa in der Häufigkeit, wie heutzutage Fischsauce und Sojasauce in der asiatischen Küche verwendet werden.
Um Garum herzustellen, wurden Fische wie Thunfisch, Sardelle, Aal, Makrele, Schnauzenbrassen mitsamt ihrer Eingeweide mit Salzlake vermischt und in offenen Becken teilweise monatelang der Sonne ausgesetzt. Dabei wurde das Fischeiweiß durch in den Eingeweiden enthaltene Enzyme abgebaut. Bei konstant gehaltener Temperatur von ca. 40 °C ist die Fermentation nach ca. einer Woche abgeschlossen. Dieses Gemisch wurde dann ausgepresst und mehrfach gefiltert, bis man eine klare, bernsteinfarbene Flüssigkeit erhielt. In der Blauen Traube wird eine einheimische Forelle dafür genutzt. Ich gehe aber mal nicht davon aus, dass es monatelang der Sonne ausgesetzt wird. Der Papaya Salat wird klassisch mit Reiskrebsen die in den Feldern Thailands leben zubereitet - Christoph und sein Team verwenden dafür lokale Flusskrebse. Das Gericht war in jedem Fall eines meiner absoluten Highlights.
Max erhielt danach einen sehr großen Teller Pasta mit einer Sugo di Pomodoro, die er am Ende des Essens ganz eindeutig an die Spitze seiner Rangliste setzte. Ich konnte mir nicht verkneifen, zu kommentieren, dass in einem solchen Restaurant die Tomatensauce in jedem Fall einfach wunderbar schmecken musste.
Bei mir folgten das Chicken BBQ (Saibling, Brathähnchenfond, mit Koriander). Grundsätzlich tat ich mir mit einer Rangfolge der servierten Kreationen schwer, das dann folgende Gericht wäre aber leicht ganz oben mit dabei - Risotto Carbonara mit konfiertem Ei, natürlich Guanciale und Petersilie. Cremig, ein hauch salzig, im Mund schmelzend. Einmalig. Gegebenenfalls hat es auch etwas mit der vielen guten Butter zu tun, die in das Risotto hineingerührt wurde. Beim ‘Plating’ des Risottos durfte ich dem Team an Köchen in der Küche nämlich über die Schulter schauen und einen kleinen Plausch halten. Unter anderem ging es auch um die Menü-Entwicklung: die erfolgt immer als Teamleistung. Jeder bringt Ideen ein, jeder entwickelt mit. Wenn man die Raffinesse auf seinem jeweiligen Teller betrachtet, wundert mich das nicht. Dennoch habe ich großen Respekt bei der Vorstellung, eine solche kreative Tätigkeit in der Gruppe sich entfalten zu lassen. Das Ergebnis spricht in jedem Fall für sich.
Bevor es mit dem Menü weiter geht, ein Wort zum Brot. Hergestellt wird es in der Bäckerei Forno in Meran vom Bäcker Ivo. So eine knackige Kruste des dunkleren Sauerteigbrotes mit wunderbar erdig, malzigem Geschmack und butterweichem Inneren. Es wird tagsüber angeliefert und kurz vor dem Essen nochmals im Restaurant aufgewärmt, damit es warm und dampfend nach dem Anschneiden auf den Tisch des Gastes kommt. Theaterreif wird es im Restaurant vor den Gästen mit einer großen Säge angeschnitten. Dazu wird eine Sauerrahmbutter, also traditionell aus fermentiertem Rahm hergestellte Butter, serviert.
Zum Menü wird natürlich eine Weinbegleitung angeboten. Ich habe es nach dem hervorragenden Schaumwein bei einem weiteren Glas Chardonnay Riserva 2020 aus der Kellerei Kurtatsch belassen. Die Kellerei, 1900 gegründet, ist ein Zusammenschluss aus 190 Familien, die 190 Hektar ihr Eigen nennen, einige Kilometer außerhalb von Bozen.
‘Wir produzieren auf nachhaltige Weise charaktervolle Weine, welche ihre unterschiedlichen Standorte, ihr Terroir, bestmöglich widerspiegeln.’
Ein Besuch der Kellerei könnte sich lohnen - nicht nur wegen den hervorragenden Weinen, sondern auch für einen Besuch ihrer architektonisch imposanten Panoramaterasse über den Reben.
Zurück zum Menü in der Blauen Traube. Das Risotto wurde gefolgt von ‘Feel the Zander’ mit Spinat, Safran und oben drauf thronender Bergartischoke gefolgt von einer butterweichen Kalbswange an Sellerie, bries und Café de Paris Butter - nochmals ein Favorit vom Max, der allerdings zu diesem Zeitpunkt den Überblick seiner Rangfolge verloren hatte.
Vorbereitend auf den Abschluss, einem Blueberry Cheesecake aus Schafsmilch, wurde genau diese nochmals vor den Gästen mit Lab angereichert, um sie für den folgenden Nachtisch anzudicken. Die Milch wird morgens noch unpasteurisiert und ganz frisch vom Bauern geholt. Zu diesem Zeitpunkt schmeckt und riecht sie süßlich, ganz mild und vollkommen frei von gewohnten Schaf-Aromen. Kurze Zeit nach Zugabe des Lab ist die Milch eingedickt und wird mit Buchweizen-Eis und Schwarzplemntner Riebel, ein Gericht inspiriert von Christophs Großmutter, bei der er früher in der Küche stand. Für den typischen Riebel werden Mais- und Weizengrieß in Milch mit etwas Salz aufgekocht, bis ein fester Brei entsteht. Seinen Erinnerungen getreu wurde dazu ein süßer Kirschsaft in den bunten Nutella Gläsern seiner Kindheit serviert. Hat Max besonders geschmeckt. Er bekam außerdem eine große Schüssel Nutella-Eis von Christoph persönlich serviert, wie er sagte: das Lieblingseis der Köche.
Der Abschluss wurde von ein Klassiker der Blauen Traube und ein Klassiker der kulinarischen Welt grundsätzlich gemacht, ein Tarte Tatin, auch die Lieblingsnachspeise meines Dads, dem ich gedanklich immer ein Stückchen in den Himmel schicke, wenn ich von einer solchen Köstlichkeit probieren darf.
Mein Dank gilt Christoph Huber und seinem Team für diesen schönen, kulinarisch ganz besonderen Abend, der auch einem neunjährigen Jungen Raum für seinen eigenen Genuss gegeben hat. Wenn ihr Zeit habt, schaut in Algund in der historischen Gaststätte vorbei, lasst euch verwöhnen, inspirieren und es euch bei dieser besonderen Erfahrung einfach gut gehen lassen.