Almwiese statt BIO-Siegel
Wer versucht, etwas bewusster zu leben und dabei auch an Tiere und die Umwelt denkt, greift gerne zu Produkten, die mit einem BIO-Siegel ausgezeichnet sind. Ich bin anfangs nur zögerlich damit umgegangen, weil mir die Welt voller Siegel, Zertifizierungen und diverser Richtlinien undurchsichtig erschien – was sagt schon ein Siegel unter all den Siegeln aus, die sich auf den Verpackungen sammeln. Irgendwann habe ich mir dann einmal angeschaut, was von Landwirten alles eingefordert wird, damit sie ihre Produkte als BIO kennzeichnen dürfen.
Um das Siegel zu erlangen, müssen bestimmte Anforderungen an Tierhaltung und Landwirtschaft gewährleistet sein: bspw. die vorhandene Fläche pro Tier, Herkunft des Tierfutters (i.d.R. vom eigenen Hof), kein Einsatz von Antibiotika (vor allem nicht zur Prävention), vorgegebene maximale Anfahrt zum Schlachthof, kein Einsatz von Pestiziden und das Verhältnis der abgegebenen Gülle-Menge in Bezug zur vorhandenen Landfläche ist vorgegeben, um Überdüngung zu vermeiden. Erschreckend war dabei im Übrigen für mich der Gedanke, wie außerhalb dieses Rahmens produziert werden darf. Sollten diese Anforderungen nicht selbstverständlich sein?
Matthias Stadler betreibt gemeinsam mit seiner Frau Julia den Gschwandlerhof, der seit 1776 in der Familie verblieben ist, und seit dem so aussieht wie er heute da steht. Allerdings musste er nach einem Brand mal neu erbaut werden. Seine Herde hat eine Größe von knapp 30 Ochsen, die in den warmen Monaten auf den Almwiesen grasen und im Winter auf dem Hof wohnen. Hof und Tiere betreut Matthias nur mit einigen wenigen Helfern. Die Bewirtschaftung der Felder erfolgt im Tal wo möglich maschinell, in Hanglagen muss händisch zugegriffen werden, die Almwiesen werden nur beweidet.
Außer in den Sommermonaten, in denen die Ochsen auf den Alm Wiesen grasen, wird monatlich etwa ein Tier geschlachtet. Das Fleisch wird meist an Privatpersonen aus dem Umland oder an namhafte Restaurants der Gegend vertrieben. Ein Kilogramm Rinderfilet kostet bei ihm ca. 50€; zum Vergleich der deutsche Durchschnittspreis liegt bei ca. 40€.
Matthias geht neben der Bewirtschaftung seines Hofs und vertrieb von Rindfleisch in Teilzeit einem anderen Beruf nach, um sich finanziell breiter aufzustellen. Natürlich ist sein Hauptanliegen aber, den Hof langfristig zu erhalten und weiterzuentwickeln und das in Vollzeit.
Matthias hält seine Rinderherde so, wie es schon seine Väter und Großväter getan haben: ein Drittel des Jahres auf der Alm, ein weiteres Drittel auf den Wiesen des Tals und die restliche Zeit im Winter im Stall. Gefüttert werden seine Rinder mit Gras und Heu des Hofes, ohne jegliche Zusätze oder Antibiotika. Die Tiere werden erst mit zweieinhalb Jahren geschlachtet und zwar auf einem nahegelegenen Schlachthof, wohin Matthias das zu erlegende Tier selbst begleitet, um bis zuletzt durch die Nähe einer vertrauten Person keinen unnötigen Stress beim Tier aufkommen zu lassen.
Dass Matthias nicht zwingend ein Bio-Siegel benötigt, um die Qualität seines Fleisches hervorzuheben, liegt sicherlich vor allem daran, dass er als Kind des Tegernseer Tals über ein bestehendes Netzwerk verfügt und sich über die Zeit einen etablierten Kundenstamm aufgebaut hat. Seine Kunden kennen ihn persönlich, vertrauen ihm und der Art und Weise, wie das Fleisch von der Weide auf ihrem Teller landet. Der Aufwand, das mit dem Einhalten verschiedener Regularien zur Erlangung des BIO-Siegels verbunden ist, lohnt sich schlichtweg nicht für ihn. Matthias ist für seine Kunden quasi das BIO-Siegel selbst.
Auch für mich. Als ich Matthias über Tiere, Wiesen und Wälder habe sprechen hören, über seine Liebe zur Natur, zu seiner Heimat, und natürlich darüber, wie seine Vorstellung von guter Viehwirtschaft aussieht, wird mir klar – so wünsche ich mir, dass jeder Landwirt denkt und nur von so jemandem möchte ich mein Fleisch beziehen. Mensch und Tier stehen hier im Einklang. Das Ergebnis ist ein Produkt, dass qualitativ hochwertig ist, das art- und umweltgerecht erzeugt wurde und letztlich ausgezeichnet schmeckt.
So steht natürlich die Frage im Raum, warum es nicht mehr Bauern gibt, die so produzieren. Vielmehr aber noch, warum es nicht mehr Konsumenten gibt, die – BIO-Siegel hin oder her – mehr Wert auf eine artgerechtere Fleischproduktion legen. Sicherlich ist das auch ein finanzielles Problem. Dennoch, warum lassen nicht mehr Menschen einfach ein paar Mal öfter das Fleisch vom Discounter links liegen, um dann zwar nur hin und wieder dafür sehr hochwertiges Fleisch bspw von einem Bauern wie Matthias zu essen?
Denke ich heute an mein Gespräch mit Matthias zurück, so hat Matthias eine gewichtige Rolle in meinem Umdenken hinsichtlich meinem Anspruch an Herkunft von Lebensmitteln gespielt. Seit meinem Besuch auf dem Hof der Familie Stadler versuchen wir als Familie wo wir können unseren Speiseplan nach regionalem Angebot auszurichten. Und zwar im Besten Fall direkt von den umliegenden Höfen. Und dabei ist mir das Vertrauen zum einzelnen Landwirt wichtiger als jeglicher Siegel im Kühlregal.
Aber das ist schnell dahingesagt. Der regionale Einkauf ist nicht immer ohne weiteres möglich. Auf dem Land lebend ist ein regionaler Lebensmitteleinkauf, im Besten Fall direkt vom Landwirt –– zwar auch mit einigem Aufwand –– leichter umsetzbar als in der Stadt. Und dabei bleibt die Frage im Raum stehen was regional eigentlich bedeutet. Für Matthias ist es im Besten Fall, wenn die Weideflächen um’s Eck sind und man den Kühen auf seinem Abendspaziergang eine gute Nacht wünschen kann. In Ballungszentren lebend sieht das schon ganz anders aus. Zunächst müssen erst Anbieter des Vertrauens identifiziert werden –– das ist schon mit einigem Aufwand verbunden. Um bei einem bevorzugten Bauern dann art- und umweltgerechtes Fleisch zu beziehen, müssen mithin oft viele Kilometer zurück gelegt werden. Bei dem heutigen Lebensstil und beruflichen Strukturen ist das oft schlichtweg nur mit viel Einsatz möglich.
Ein so grundlegendes Thema wie Ernährung ist heutzutage kompliziert geworden, die Problematik eines nachhaltigen Angebotes vielfältig –– Landwirten müsste es leichter möglich sein, und vor allem wirtschaftlich lohnend, so zu produzieren wie es beispielsweise Matthias macht. In Ballungszentren müssten für Einzelhändler Anreize geschaffen werden, um ein breiteres, regionales und vor allem nachhaltig produziertes Angebot bereitzustellen. Und letztlich bedarf es mehr Bildungsarbeit in der Gesellschaft ob der Bedeutung eines qualitativ hochwertigem Lebensmittelangebots.